Frage: Kann ein Passagier eine
Boeing oder einen
Airbus landen? Ich behaupte "JA", wenn! dieser Passagier:
1. Inhaber einer gültigen ATPL (Air Transport Pilot License)-Lizenz ist und!
2. das entsprechende Typerating der in Frage kommenden Modifikation des Flugzeugtyps besitzt und!
3. die notwendige Erfahrung hat und!
4. ein gültiges Medical (Flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis) besitzt.
Warum kann ein normal sterblicher Passagier keine Boeing oder keinen Airbus landen? Weil
1. selbst Vielflieger nie in die Verlegeheit kommen werden, vor solch einer Aufgabe zu stehen,
2. an Bord dann immer noch mindestens 300 Mitberwerber für den Job sind,
3. der zum neuen Kapitän beförderte Fluggast mit Situation, Technik, Prozess und Verantwortung völlig überfordert ist und unter diesem Druck zusammenbricht.
4. die Maschine vorher von der Luftwaffe unsanft zur Landung in unbewohntem Gebiet gezwungen wird.
Im Übrigen können moderne Airliner mit ihrem Flight-Management-System selbständig landen.
Es soll trotzdem vorgekommen sein, dass Kapitän (Pilot in Command) und Co-Pilot (Second Pilot) nicht mehr in der Lage waren, während eines Fluges ihre Aufgaben und Funktionen im Cockpit zu erfüllen.
Zwei Zeitungen gaben darauf hin die wohl grobfahrlässigsten Tipps für ihre Leser.
Um zu verdeutlichen, was auf den armen Passagier zukommt, hier ein kleiner Exkurs:
Hat jemand Flugerfahrung?Nehmen wir einen einfachen Transatlantikflug von
New York nach Frankfurt. Die Maschine, eine
Boeing 767, befindet sich im Reiseflug, FL350 (Höhe 35.000 ft = 10,5 km). Sie werden durch eine freundliche Durchsage der Cabin Crew geweckt:"Ist ein Arzt an Bord?". Minuten später die zweite Durchsage:"Wer von den Passagieren hat Flugerfahrung?". Da sich auch jetzt niemand meldet, Sie im Verlauf des Fluges dem Alkoholangebot der Airline erfolgreich Widerstand leisteten und nun auch noch ausgeschlafen wirken, bittet Sie eine nette Flugbegleiterin um ihre Mithilfe.
Die AufgabeSie werden ins Cockpit geschubst und trauen Ihren Augen nicht. Alle Plätze sind leer, die Steuerung bewegt sich allein, wie von Geisterhand. Nun Ihre Aufgabe:"Bringen Sie den Flieger sicher zum nächstmöglichen Flughafen und landen Sie". Sie haben noch nie etwas von Sprechgruppen, Cockpittraining, Überziehen, Autopilot, Navigation, Winddreieck, ILS, Alternates, En-Route Alternates, Trimmung, Variation, Deviation, Emergency Cases und tausend anderen Dingen gehört. Meine Empfehlung, schnappen Sie sich als erstes Ihr Handy, rufen Sie Ihre Frau an und sagen Sie ihr, dass Sie möglicherweise nicht zum Abendessen zu Hause sein werden.
Das Flight DeckJetzt können Sie sich ganz entspannt auf Ihr Abenteuer "Kapitän mit Verantwortung über 300 Seelen" konzentrieren. Sie sehen sich im Cockpit um. Alles kommt Ihnen fremd vor, hunderte Schalter, Hebel und Hebelchen, Monitore, Lämpchen. Als gebildeter Mensch wissen Sie, dass in modernen Flugzeugen die Instrumente ergonomisch angeordnet sind. Das heisst, was sich in ihrem Blickfeld befindet, ist WICHTIG! Ihre erste Aufmerksamkeit gilt dem
PFD (Primary Flight Display). Dort finden Sie alles, was Sie zur Beurteilung des Flugzustandes wissen müssen, Fluglage und -höhe, Steig- oder Sinkrate, Geschwindigkeit, Kurs. Sie ahnen, dass das Flugzeug waagerecht in der Luft liegt, auch die Nase befindet sich weder über dem noch unterhalb des Horizonts. Das Variometer bestätigt Ihre Vemutung und steht auf Null. Die Geschwindigkeit beträgt konstante 0,79 Mach. Das klingt wenig, denken Sie. Aber als ein an Physik interessierter Mensch, wissen Sie, dass 1 Mach ungefähr 1.200 km/h ist. Sie sind beruhigt. Da noch keine roten Lampen blinken und keine Frauenstimme sich über irgenwelche aussergewöhnlichen Vorkommnisse beschwert, wollen Sie als nächstes Kontakt mit der Aussenwelt aufnehmen und um Hilfe bitten.
BlamiertMit ihren guten Englisch-Kenntnissen, denken Sie, sollte das kein Problem sein. Was hiess gleich "Kurs", "Geschwindigkeit", "Flughöhe", "querab", "erbitte" auf Luftfahrt-Englisch? Wie war doch gleich die Flugnummer? Und welchen Schalter müssen Sie betätigen, um zu senden? Wo - zum Teufel - befindet sich die Maschine überhaupt?
Nun könnten Sie folgenden Funkspruch absetzen:"Hallo Hallo Hallo, this is Boeing seven-six-seven, we got a problem usw.". Wenn Sie nun aus dem Cockpitfenster schauen, werden Sie feststellen, dass in einiger Entfernung die Kondensstreifen anderer Flugzeuge unnatürlich starke Wellenlinien zeichnen. Das kommt daher, dass die anderen Kapitäne vor Lachen mit dem Steuerhorn ihre Autopiloten ausgeschaltet haben und nun versuchen, ihre Maschinen wieder unter Kontrolle zu bringen. Da Sie sich mitten über dem Atlantik befinden, hat Ihr Notruf bislang keinen Radarlotsen erreicht, dass heisst, Sie haben sich vor dem Festland noch nicht blamiert.
Was tun?Sie entschliessen sich nun, erstmal gar nichts zu tun. So mitten über dem Atlantik haben Sie bis zum nächsten En-Route Alternate alle Zeit der Welt. Interessiert entdecken Sie rechts neben dem PFD einen Monitor - das
ND oder Navigation Display - , in dessen unterem Bereich sich ein kleines Flugzeug befindet. Von diesem kleinen Flugzeug verläuft eine Zickzacklinie zum oberen Bildschirmrand und an jedem Zick und jedem Zack sind Daten eingeblendet. Sie kombinieren richtig, das ist die im Flight Management Computer programmierte Flugroute, der die Maschine folgt. Zum Glück finden Sie das Flight Instruction Manual, das AIP (Aeronautical Information Publication) und diverse Checklisten, was immer das auch alles ist. In den nächsten Stunden schulen Sie sich zum ATPLer und eignen sich fundierte Kenntnisse in den Fachgebieten Hydraulik, Elektrik, Kraftstoffsystem, Feuerlöschsystem, Druckluft, Sauerstoff, Meteorologie, Navigation, Funk- und Satellitennavigation, Trägheitsnavigation, Flugfunk (AZF), Luftrecht, Human Factors und Verhalten in besonderen Fällen (Fliegen ohne Tragflächen) an.
Wohin eigentlich?Dies geschafft, entdecken Sie auf dem Monitor mit dem kleinen Flugzeug eine schräge Wellenlinie, die langsam näher rückt. Sie vermuten richtig, das ist die Westküste Frankreichs. Jetzt können Sie entscheiden. Entweder Sie fliegen
London Heathrow,
Paris Charles de Gaulle oder - wie geplant -
Frankfurt Rhein-Main an. Da Sie inzwischen versiert und mit der Maschine vertraut sind, rufen Sie
Shanwick Oceanic und melden dort die Situation. Der freundliche Radarlotse gibt Ihnen einen neuen Kurs, North East direct London Heathrow und eine neue niedrigere Flughöhe. Wenn Sie jetzt den Autopiloten ausschalten, müssen Sie mit einer Hand am Steuerhorn, mit der anderen an den Schubhebeln, die Füsse auf den Pedalen damit die Maschine nicht giert oder schiebt, eine sanfte Linkskurve fliegen, auf FL160 sinken, nicht zu schnell und nicht zu langsam werden, nicht zu schnell sinken, rechtzeitig die Maschine abfangen, den Autopiloten wieder einschalten und möglicherweise die Flugroute neu programmieren. Die elegantere Möglichkeit wäre, den Flight Director auszuschalten und bei eingeschaltetem Autopiloten die neue Flughöhe und den neuen Kurs einzugeben. Dann wird der Autopilot Ihrem Wunsch selbständig entsprechen. Nach weiteren Kurs- und Höhenänderungen übergibt Sie Shanwick Oceanic an London Radar. Da Sie vorausschauend die Londoner Frequenz auf Standby gerastet haben, genügt ein Switch und Sie empfangen den Londoner Radarlotsen. Dieser wird Sie nun sicher in Richtung Kontrollzone von London Heathrow führen.
London Heathrow RWY 09RNach erneutem Frequenzwechsel sind Sie auf der Tower-Frequenz und melden sich vorschriftsmässig an. Der Towerlotse gibt Ihnen nun neue Flughöhen, Kurse und Geschwindigkeiten (Mit 850 km/h rast niemand in den Londoner Luftraum!) und leitet Sie direct in den Final
RWY 09R. Vorsorglich haben Sie die ILS-Frequenz RWY 09R gerastet und ein Pipsen mit einem freundlichen Hinweis durch eine Frauenstimme signalisiert, dass die Maschine Gleitweg- und Landekurssender erfasst hat. Der Autopilot lässt den Flieger automatisch in den Endanflug einkurven. Jetzt liegt es an Ihnen, Throttle (Gashebel) zurück, Geschwindigkeit weiter reduzieren und Klappen entsprechend ausfahren (Tabelle, Checkliste). Wie war doch gleich die Überziehgeschwindigkeit bei Klappenstellung 40 Grad? Bei welcher Geschwindigkeit dürfen Klappen und Fahrwerk gefahren werden? Welche Bremskraft wird benötigt, es hatte geregnet und die Runway ist nass. Welche Windverhältnisse herrschen vor? Bei zu starkem Seitenwind können Sie sich auf den Autopiloten nicht verlassen. Also Autopilot aus (Pipsen). Ist der Cross Wind noch stärker dürfen Sie die Maschine überhaupt nicht landen. Was bedeuten eigentlich die vier roten Lampen links der Landebahn? Sie sind zu niedrig, also Nase hoch! Geschwindigkeit im Auge behalten! Stimmen Kurs und Sinkrate noch? Sie melden Runway in Sicht.
Im FinalAber es kommt noch besser. Sie haben Seitenwind. Welches Anflugmanöver wählen Sie, hängende Fläche und Ruder kreuzen oder Vorhaltewinkel? So nebenbei hören Sie in den Kopfhörern."Continental eight-zero-five-niner ... wind one-tri-zero degrees ... two-five knots ... cleared to land runway zero-niner-right". Das ist für Sie, Sie sind frei zur Landung RWY 09R. Grösser werdende Häuschen, Strassen, ein Zaun und eine Wiese schiessen unter Ihnen hinweg. Jetzt kommt das nächste Problem auf Sie zu, wann fangen Sie die Maschine ab, wann nehmen Sie die Gashebel in Leerlaufstellung, wo setzen Sie auf? Fangen Sie zu hoch ab, plumst der Flieger auf die Runway, fangen Sie zu niedrig ab, können Sie zumindest das Bugfahrwerk vergessen. Endlich ist grauer Asphalt unter Ihnen. Sie ziehen das Steuerhorn gefühlvoll an sich heran und halten den 250-Tonnen schweren Vogel auf der Centerline. Das Quietschen der Hauptfahrwerke können Sie im Cockpit nicht hören, ein sanfter Stoss und leichtes Schütteln geht durch die Maschine, Speedbrakes raus und Reverser (Schubumkehr). Das Bugrad setzt auf. Die Maschine kommt zum Stehen.
Die Cockpit-Tür hinter Ihnen öffnet sich. Lächelnd beglückwünscht Sie der Flight Instructor zu Ihrer ersten erfolgreichen Landung und schaltet den Simulator aus.
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Boeing 767-400ER FLIGHT DECKTechnorati Tags:
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